Anfang des Jahres hat NZZ-Reporter Marcel
Gyr für Aufsehen gesorgt. In seinem Buch „Schweizer Terrorjahre“ vertritt er
die These, dass ein geheimes „Stillhalteabkommen“ mit der PLO getroffen wurde.
Nach dem Attentat in Zürich-Kloten (1969), dem Bombenanschlag auf Swissair-Flug
330 (1970) und der Entführung einer anderen Swissair-Maschine ins jordanische
Zerka (1970) sollte so weitere Gewalt gegen Schweizer Ziele verhindert werden.
Im Gegenzug habe man der PLO die notwendigen Bewilligungen für ein Büro bei der
UNO in Genf in Aussicht gestellt. Dokumentarischen Beleg hierfür konnte Gyr
keinen vorweisen, wohl aber Aussagen einiger prominenter Zeitzeugen. „Schweizer
Terrorjahre“ hat seitdem viel Widerspruch erregt. Wohl auch deswegen, weil an
einem Tabu gerüttelt wird – nämlich, mit Terroristen zu verhandeln. Eine solche
Vorgangsweise ist seit jeher moralisch und rechtlich heftig umstritten. Genauso
ist es eine Tatsache, dass westliche Regierungen in der Vergangenheit Deals mit
Terroristen abgeschlossen haben. Und betrachtet man das Schweizer Beispiel in
diesem Kontext, dann erscheint Gyrs These keineswegs abwegig.
Anders
als gegenwärtig bestand während des Kalten Krieges Raum für stille Diplomatie.
In den 1970er und 1980er Jahren waren selbst berüchtigte Terroristen wie Ahmed
Jibril, Carlos der „Schakal“ oder Abu Nidal eng an die Interessen ihrer jeweiligen
staatlichen Sponsoren rückgebunden. Libyen, Syrien oder Irak kappten die
Unterstützung, wenn sie sich kompromittiert fühlten oder diese Zweckallianzen
ihren Interessen zuwiderliefen. Im Gegensatz zum heutigen
radikal-islamistischen Terrorismus handelte es sich primär um
säkular-nationalistisch orientierte Akteure, die klar definierte Ziele
verfolgten – und dabei Pragmatismus an den Tag legten. Gerade die palästinensischen
Gruppen, die damals das Spektrum des „internationalen Terrorismus“ wesentlich
bestimmten, perfektionierten ein Nebeneinander von Gewalt und Geheimdiplomatie,
das Anknüpfungspunkte ermöglichte. So profilierte sich Jassir Arafats „Fatah“ –
die dominante Einzelorganisation innerhalb des Dachverbands PLO – ab 1974 als
gemäßigt, wenn gleich sie in den besetzten Gebieten und in Israel weiter Terror
praktizierte.
Das
hinderte die USA aber nicht daran, sich 1973 von der Fatah die Zusage zu holen,
dass diese künftig keine Angriffe mehr auf US-Bürger unternehmen würde. Genauso
ging es um den Schutz diplomatischer Einrichtungen im Bürgerkriegsland Libanon
– zu diesem Zweck pflegten laut einem Dokument des Auswärtigen Amts von 1975 auch
Großbritannien, Frankreich, die BRD und selbst die Schweiz „Verbindung zu
PLO-Vertretern“. Nicht viel anders war es in Italien: Als es 1973 ein palästinensisches
Kommando auf dem Flughafen Rom ein Blutbad anrichtete, soll der PLO die baldige
Eröffnung eines Büros versprochen worden sein. Frankreich baute seine Sicherheit
überhaupt auf die „Schutzhafen“-Doktrin: Indem man allen möglichen
Gruppierungen Aktivitäten erlaubte, würde das Land außen vorgelassen.
Was
das Beispiel BRD angeht, so hatte der Anschlag bei den Olympischen Spielen in
München 1972 einen traumatischen Einschnitt bedeutet. Um weiteres Blutvergießen
zu vermeiden, bemühte man sich um Absprachen mit Entscheidungsträgern in
Arafats Sicherheitsapparat. 1977 nahm auf Einladung des österreichischen
Bundeskanzler Bruno Kreisky ein Mitarbeiter von Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski
an einem Geheimtreffen in Wien teil: Im Gegenzug für „eine gewisse Anerkennung“
und die „politische Unterstützung Arafats“ boten die PLO-Emissäre Fahndungshilfe
gegen die Rote Armee Fraktion (RAF) an. Deren Angehörige hielten sich nämlich
teils im Nahen Osten verborgen. Das Bundeskriminalamt (BKA) profitierte infolge
von Informationen über Pläne und Aufenthaltsorte deutscher Linksextremisten. Bei
weiteren Gesprächen 1979 erhielt das BKA sogar die Zusage, dass die PLO „weder
auf deutschem Boden noch weltweit Anschläge gegen deutsche Interessen verüben
werde“. Eine schriftliche Garantie gab’s freilich nicht wie sich einer der
Unterhändler erinnerte – „wenn ein Araber sein Wort gebe, genüge das“.
Österreich
ging noch einen Schritt weiter – wegen seiner Rolle als Schleuse für die
jüdische Auswanderung aus dem Sowjetlock nach Israel war die Alpenrepublik in
den Nahostkonflikt involviert. Mehrmals versuchten arabische Gruppen diese
demographische Stärkung Israels zu unterbinden. Um für Sicherheit zu sorgen,
trachtete Bundeskanzler Kreisky danach, den Nahostkonflikt zu entschärfen. Er protegierte
den Dialog zwischen der PLO und der israelischen Friedensbewegung und fungierte
als Gastgeber der ersten Empfänge Arafats auf dem diplomatischen Parkett. 1980 wurde die PLO offiziell anerkannt. Doch
diese Rechnung ging nicht auf. Der PLO-Abtrünnige Abu Nidal wollte jede
Entspannung zwischen Israel und den Palästinensern verhindern. Und deshalb traf
sein Terror in den 1980er Jahren Länder wie Österreich, die sich um Vermittlung
bemühten. Daran hatte auch die Informationen der PLO, die über Arafats
Gesandten Issam Sartawi direkt an den österreichischen Innenminister gingen,
nichts ändern können.
Diese
heiklen Manöver im Nachhinein als „Appeasement“ abzutun, ist zu einfach. Tatsächlich
stellte der internationale Terrorismus die westlichen Staaten vor ernste
Herausforderungen. In den 1970er Jahren mussten erst mühsam Kapazitäten im
Sicherheitsapparat aufgebaut werden. Außerdem wurden die Kooperationen nachrichtendienstlich
ausgebeutet – so ergab die Überwachung von PLO-Büros einen „Schatz“ an
Informationen, den die Staaten beispielsweise über den „Club de Berne“ auch
untereinander teilten. Das haben Recherchen der Basler Historikerin Aviva Guttmann kürzlich ergeben.
Und
die Schweiz? Es ist in der Tat augenfällig, dass der PLO nach dem Terrorjahr
1970 relativ rasch erlaubt wurde, ein inoffizielles Büro in Genf zu eröffnen.
Für die Palästinenser bedeutete das Zugang zu einem der weltweit wichtigsten
diplomatischen Zentren. Aus der Schweiz wollten sie „ein Fenster auf ganz
Europa“ ausbauen, wie der Genfer PLO-Vertreter Daoud Barakat 1973 ausdrückte.
Spätestens zwei Jahre später besaß seine Einrichtung den Status einer Mission
mit allen Privilegien und Immunitäten. Und hier soll es kein „quid pro quo“
gegeben haben?
Am
15. März 1971 setzte laut einer Aktennotiz Bundesrat Pierre Graber, die
Schüsselfigur von Gyrs Buch, den Bundesrat „anlässlich einer Aussprache davon
in Kenntnis, dass in dieser Angelegenheit [die palästinensische Präsenz in
Genf] gewisse Kontakte zwischen Beamten des EPD [Eidgenössisches Politisches Departement]
und Vertretern der Palästinenser stattgefunden haben.“ Diese kryptische, aber
interessante Notiz ist nur eine von vielen Primärquellen, die über die die
Internetseite der Forschungsstelle der Diplomatischen Dokumente der Schweiz
(dodis.ch) einsehbar sind. Man erfährt hier auch, dass Bundespolizeichef André
Amstein persönlich den israelischen Geheimdienst vor einem Attentat auf Barakat
warnte – der Mossad führte damals nämlich eine Vergeltungskampagne gegen
PLO-Führer. So überrascht es auch nicht, dass Barakat 1973 süffisant meinte, die
Schweiz genieße „heute einen guten Ruf“ im PLO-Hauptquartier und sei somit „keinen
Gefahren“ ausgesetzt. Zwei Jahre später lobte er das „jetzige gute Verhältnis“.
Und: Die PLO habe bereits „verschiedentlich“ palästinensische Splittergruppen
von Attentaten, „in oder gegen die Schweiz“, abgehalten. Solche Äußerungen
genügen selbstverständlich nicht als Nachweis für einen Geheimdeal. Insofern
ist die Entscheidung, die Beziehungen Schweiz-PLO von einer Arbeitsgruppe offiziell
zu untersuchen, nur zu begrüßen. Man darf gespannt sein!
HINWEIS: Gekürzte Version ist am 13. März 2016 in der Neuen Züricher Zeitung erschienen