Dienstag, 6. Januar 2015

„Stay behind“ in Österreich - Teil 2: Der "Kern" für eine österreichische Guerilla

Die genaue Rolle der österreichischen Nachkriegspolitik in all den geheimdienstlichen Manövern und Planspielen zu stay behind ist am undurchschaubarsten. Aus einem Dokument zu „Operation Iceberg“ von 1951 geht jedenfalls hervor, dass die CIA eine Kooperation mit dem Innenministerium anstrebte – im Austausch für finanzielle und andere Hilfen. Die politische Situation hatte aber noch nicht den Punkt erreicht, wo es „günstig“ war, Entscheidungsträger darauf anzusprechen. Vorbereitungsbesprechungen hatten aber bereits stattgefunden.

Siehe dazu auch: Christoph Franceschini und Thomas Riegler, Guerillas für den Dritten Weltkrieg, in: profil, Nr. 2/2015, S. 36-39

Aufbau bewaffneter „Widerstandsgruppen“
Als 1996 die US-Waffenlager bekannt geworden waren, hatte sich ein Zeitzeuge zu Wort gemeldet – der 2014 verstorbene Widerstandskämpfer und Verleger, Fritz Molden. Als Sekretär von Außenminister Karl Gruber war er damals in die Vorgänge eingeweiht. Molden zufolge wurde bereits 1946 „im engsten Kreis“ besprochen, was für den Fall der Errichtung des Eisernen Vorhangs innerhalb Österreichs zu tun sei: Der Aufbau bewaffneter „Widerstandsgruppen“ mit Unterstützung der USA. Molden wusste, von was er sprach. In einem CIA-Memo von 1953 heißt es zu „GRSPINAL 1“: „Hauptagent, leitet das redaktionelle und geschäftliche Management von zwei Tageszeitungen und einer Wochenillustrierten.“ Das ist eine exakte Beschreibung von Moldens damaliger Geschäftstätigkeit als Verleger.

Fritz Molden 2010 (Quelle: Wikimedia Commons)
Gar nicht harmlos: Der „Österreichische Wander-, Sport und Geselligkeitsverein"
Konkret war Anfang der 1950er Jahre innerhalb des Gewerkschaftsapparats eine „systematische Abwehrorganisation“ entstanden. Vorangetrieben wurde dieses „Sonderprojekt“ vom späteren ÖGB-Präsident und Innenminister Franz Olah. Zwecks Tarnung liefen alle Aktivitäten über einen eigens gegründeten Verein namens Österreichsicher Wander-, Sport- und Geselligkeitsverein (ÖWSGV).

Wie Olah in seinen Erinnerungen betont, war das zentrale Element des „Sonderprojekts“ der Aufbau eines Funknetzes. So wurden in allen Bundesländern (mit Ausnahme von Vorarlberg) in den Hauptstädten Funkgeräte installiert – in Niederösterreich auch in Wiener Neustadt, St. Pölten und Krems. Das stellte die Koordination der verschiedenen ÖWSGV-Gruppen sicher – diese waren nicht nur mobil, sondern auch schlagkräftig: „Wir hatten Jeeps, Geländefahrzeuge, Landrover, Motorräder und andere Fahrzeuge. Es erfolgte auch die Ausbildung von Spezialgruppen nicht nur in modernen, leicht zu handhabenden Schusswaffen (Schnellfeuerwaffen), in modernem Sprengstoff (Plastiksprengstoff)  sowie in der Ausbildung von Judogruppen.“  Als Olah 1969 vor Gericht gefragt wurde, woher die Angehörigen des „Sonderprojekts“ ihre Kenntnisse hatten, antwortete er: „Sie waren im Krieg. Aber ihre Kenntnisse wurden von Fachleute in Ausbildungslagern aufgefrischt, sie wurden ja eigens geschult.“

In der Wiener Liebhartsgasse befand sich ein Depot, weitere Waffenlager wurden im Westen, außerhalb der sowjetischen Zone, eingerichtet: „Die eigentlichen großen Lager (zwei oder drei) von Waffen aller Art waren unter Doppelsperre. Ich hatte die Möglichkeit, mit einer zweiten Person gemeinsam erforderlichenfalls davon Gebrauch zu machen. […] Im Salzburgerischen, in Golling, lagerte die Winterausrüstung für eine komplette Kompanie. Ein Angestellter der Stadt Wien, ein ausgebildeter Waffenmeister, war freigestellt, um unsere Ausrüstung in Schuss zu halten – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Olah selbst hatte in einem Stahlschrank in seinem Büro „einen kleinen Vorrat an Waffen bis hin zu Maschinenpistolen, um uns im Notfall den Weg freizumachen“. Außerdem verfügte man über eine „große Zahl“ von Tränengasbomben, „deren Einsatz wäre bei Unruhen am Anfang viel wirksamer und auch viel vernünftiger gewesen als sofort zu schießen“. Mehrere Regierungsmitglieder – Innenminister Oskar Helmer, Gewerkschaftsbundpräsident Johann Böhm und Bundespräsident Adolf Schärf – sollen laut Olah über das Sonderprojekt informiert gewesen sein, „allerdings ohne Kenntnis der Details der Organisation“. Insgesamt, so Olah, seien „wohl ein paar tausend Österreicher  mit unseren Vorbereitungen in Kontakt gekommen“. Der eigentliche Apparat bestand jedoch nur aus ein paar Dutzend Leuten, „meist Gewerkschafts- oder SPÖ-Funktionäre aus den Bundesländern; einige von ihnen sind später Mandatare geworden“.

Der Staatsvertrag und die Neutralität stellten kein Hindernis dar
Wie aus den neuen Dokumenten hervorgeht, hatte die Unterzeichnung des Staatsvertrags keineswegs das Ende für die geheimen Aktivitäten im „neutralen“ Österreich bedeutet: 1955 wurden insgesamt 12 Sabotage- und 10 „air-receiption“-Lager angelegt (die Ausrüstung in letzteren Depots dürfte dazu gedient haben, Landeplätze für Luftnachschub zu markieren). Erst in den frühen 1960er Jahren wurden infolge der sich „ändernden Situation“ die Leitlinien des stay behind-Programms GRCROOND geändert: Trotz der nunmehr angenommenen Unwahrscheinlichkeit eines kommunistischen Putschs wurden die vorhandenen Aktivposten weiter geführt. „Sowjetische Aggression“ war immer noch im Bereich des Möglichen. Allerdings wollte die CIA die Verantwortung für Sabotagemaßnahmen im Kriegsfall zunehmend an österreichische Kräfte abtreten.

„GRDAGGER Organization“
Damit war in erster Linie Olahs Truppe gemeint. Aus den neuen CIA-Dokumenten geht hervor, dass die CIA diese „GRDAGGER-Organisation“ für Guerilla- und Sabotageakivitäten am Hochschwab und im Greinerwald nutzbar machen wollte und zu diesem Zweck auch in Ausbildungsmaßnahmen investierte. Zuversichtlich stimmte die CIA, dass Olahs Verband über gute Beziehungen zu mächtigen Regierungskreise verfügte und antikommunistisch orientiert war. Über Olah (GRDAGGER 1) hieß es, er habe ein starkes Interesse daran, sich als Widerstandsführer zu profilieren, sollte es zum Krieg kommen. Ende 1955 bestand die „GRDAGGER-Organisation“ aus 20 Personen, von der sich die CIA gute Chancen ausrechnete, einen  effektiven „Kern“ für eine österreichische Guerilla zu bilden: „Wir schätzen, dass die GRDAGGER-Organisation innerhalb von sechs Monaten nachdem der Krieg ausgebrochen ist auf 250 Mann angewachsen sein wird. GRDAGGER besteht aus Angehörigen einer SPÖ-nahen Gewerkschaft mit 40.000 Mitgliedern, von denen viele als potentielle Rekruten für Widerstandsgruppen im Kriegsfall angesehen werden können.“

Auszug aus CIA-Dokument zur GRDAGGER-Organization (Quelle: www.foia.cia.gov)
Spuren verwischt
Bedauerlicherweise existieren dazu in österreichischen Archiven praktisch keine Unterlagen: Olah hatte seine Spuren penibel verwischt. Schon in den 1960er Jahre wurden alle Akten zum „Sonderprojekt“ durch den Reißwolf geschickt. Der ehemals mächtige Olah hatte sich selbst ins Aus manövriert – unter anderem wegen eigenmächtiger Verwendung von Gewerkschaftsgeldern musste er 1964 zurücktreten und wurde fünf Jahre später zu einer Haftstrafe verurteilt. Olah, der 2009 verstarb, hielt sich zeitlebens bedeckt. Ob und wenn ja in welcher Form die österreichische Beteiligung an stay behind weiterging, darüber könnten US-Akten Aufschluss geben, die heute noch unter Verschluss gehalten werden. Erwiesen ist nun allerdings wie substantiell das an sich neutrale Nachkriegsösterreich ins westliche Lager eingebunden war – und in welchem Ausmaß sich heimische Politiker und Freiwillige für die US-Kriegspläne engagierten. 

Auszug aus CIA-Dokument (Quelle: www.foia.cia.gov)