Vor
35 Jahren, am 13. Mai 1981, wurde Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz
von einem Attentäter angeschossen. Die dabei verwendete Waffe stammte von einem
Händler aus Österreich.
Grünau im Almtal,
wenige Tage nach dem Papstattentat: Otto Tinter, ein 70jähriger Rentner, nimmt
Abschied am Grab seiner Frau. Nach der Beerdigung bekommt er unerwarteten
Besuch. Es ist ein Kriminalbeamter, der ihm ein Fernschreiben vorhält. Daraus
geht hervor: Es war eine von Tinter verkaufte Pistole, mit der das Oberhaupt
der katholischen Kirche schwer verletzt wurde. Worin besteht die Verbindung zwischen
dem „Verbrechen des Jahrhunderts“ und einem biederen oberösterreichischen
Pensionär? Tinter – ein ehemaliger Konstrukteur in der Waffenabteilung der
Steyr-Werke – hatte nicht einfach einen ruhigen Lebensabend verbracht. Er
kaufte und verkaufte Waffen. Unter anderem war jene Pistole der Marke FN
Browning, Kaliber 9 mm, mit der der Papst lebensgefährlich verletzt wurde,
durch Tinters Hände gegangen. Mit einer Konzession als Waffenhändler wäre das
sogar legal gewesen. Aber Tinter hatte keine solche Genehmigung. Man hatte sie
ihm verweigert, obwohl die zuständige Sicherheitsdirektion einen zuverlässigen
Lebenswandel bescheinigte. Tinter hielt das nicht ab – auch weil er seine an
Schizophrenie erkrankte Tochter zu versorgen hatte, begann er ab 1977 Pistolen eben
illegal zu verkaufen. Insgesamt waren es 150 Stück.
Unter anderem
orderte er am 9. Juli 1980 in der Schweiz 22 zerlegte Faustfeuerwaffen und
legte dafür den Lieferschein des konzessionierten Kremser Händlers Horst
Grillmayer vor: „Der Name ist in Zürich bekannt. Ich habe ihn nur verwendet,
weil ich dadurch niedrigere Preise bekam.“ Unter den Pistolen, die anschließend
auf dem Postweg an Tinter gingen war jene FN Browning – von der Fabrique
Nationale im belgischen Herstal. Von dort war die Waffe an den Schweizer
Generalrepräsentanten nach Neuchâtel gegangen, der sie wiederum an das Züricher
Waffengeschäft Glaser weiterhandelte. Hier bezog Tinter schließlich die
Pistole. Der Weg der Browning ließ sich anhand der nicht herausgefeilten
Seriennummer leicht nachvollziehen. Tinter blieb freilich das letzte Glied in
der Kette – wie die Pistole in die Hand des Attentäters, des damals 23jährigen
Türken Ali Agca, kam, ist nur eines von vielen Rätseln rund um den Anschlag auf
Johannes Paul II. Tinter behauptete zunächst, der geheimnisvolle Mann sei ein
Schweizer gewesen, der für mehrere Pistolen 60.000 Schilling in Franken bezahlt
habe. Danach beließ es Tinter bei Andeutungen: „Ich weiß, dass ein hoher Wiener
Finanzbeamter die Waffe eine Zeitlang besessen hat. Der hat sie dann in einem
Kaffeehaus an zwei Türken verkauft.“
Wenige Wochen vor dem Attentat wohnte Agca in der Wiener Jheringstraße (Foto: H. Niklas) |
Tinter und Agca
wurden einander 1985 beim Prozess in Sachen Papstattentat gegenübergestellt.
Beide wollten einander nie begegnet sein. Agca gab an, die Browning im März
1981 in Wien erworben zu haben. Damals versteckte er sich mit einem falschen
Pass auf dem Namen Joginder Singh für einige Wochen in der Jheringstraße Nr.
33. In einem TV-Interview 2010 bestätigte Agca noch einmal, die Waffe „mit
eigenen Mitteln“ in Österreich besorgt zu haben. In den 1980ern Jahre hatte er
zusätzlich den Namen Grillmayer genannt – offenbar deswegen, weil sich Tinter
auch beim Verkauf des Namens seines bekannteren Kollegen bedient hatte, um mehr
Profit herauszuschlagen. Grillmayer, der von alldem nichts gewusst haben will,
war nämlich eine große „Nummer“ im Geschäft: Er sprach nicht nur Türkisch,
sondern reiste häufig nach Syrien, Libyen, in die DDR und andere osteuropäische
Staaten. Anfang 1983 war Grillmayer selbst in einen Skandal verwickelt: 308
Pistolen, sieben Scharfschützengewehre und Maschinenpistolen sowie 15.000
Schuss Munition waren am Grenzübergang Kleinhaugsdorf abgefangen worden.
Grillmayer war einer der Hintermänner des Deals. Der Fall schlug solche Wellen,
dass sich Innenminister Erwin Lanc bei einer Pressekonferenz dagegen verwahrte,
„Österreich als einen Tummelplatz internationaler Waffenschieber“ hinzustellen.
Doch zurück zur
Mordwaffe: Vom Typus her war die halbautomatische Browning für das Töten auf
kurze Distanz eigentlich nicht geeignet – die damit verschossenen Vollmantel-Projektile
hatten keine „mannstoppende Wirkung“. So war es dann auch am 13. Mai 1981
während der Generalaudienz auf dem Petersplatz. Agca legte über die Köpfe von
Gläubigen hinweg auf den 61jährigen Papst an, als dieser in einem offenen,
weißen Jeep vorbeigefahren wurde. Um 17.17 Uhr drückte Agca zwei Mal ab. Der
Papst sackte in sich selbst zusammen – großkalibrige Projektile hätten ihn umgestoßen.
Aus der Körperhaltung des Killers, die auf Film- und Fotoaufnahmen gut
dokumentiert ist, haben Ballistiker geschlossen, dass Agca bewusst auf die Beine
und den Unterleib des Pontifex gezielt hatte. Sprich: Der gut trainierte Killer
schoss nicht, um zu töten, sondern um zu verwunden. Tatsächlich kämpften die
Ärzte fast fünfeinhalb Stunden um das Leben von Johannes Paul II. Ein Geschoß
hatte mehrere Dünndarmschlingen und einen Teil des Dickdarms zerfetzt und war
danach neben der Wirbelsäule wieder ausgetreten. Lebenswichtige Organe waren
aber verschont geblieben. Der Papst selbst erklärte sich seine Rettung so:
„Eine Hand hat die Pistole gehalten, eine andere die Kugel gelenkt.“
In diesem "Papamobil" befand sich Johannes Paul II., als auf ihn geschossen wurde (Quelle: Wikimedia Commons/Jebulon) |
Die Frage, wer die
Hand des Schützen „gelenkt“ hat, ist auch nach mehr als drei Jahrzehnten offen.
Denn so viel ist klar – Agca war ein Auftragstäter. Er gehörte zu den „grauen
Wölfen“, der Vorfeldorganisation einer 1961 gegründeten rechtsextremen Partei.
Ende der 1970er Jahre als sich die Konfrontation zwischen Rechts und Links in
der Türkei zuspitze, waren die „grauen Wölfe“ in zahllose Morde verstrickt. So
erschoss Agca 1979 einen regimekritischen Journalisten und entkam kurze Zeit
später unter ungeklärten Umständen aus der Haft. Danach reiste er ins
kommunistische Bulgarien ein und verbrachte dort angeblich 50 Tage. Dieser
Aufenthalt wurde zum Ausgangspunkt der bis heute bekanntesten Theorie in Sachen
Papstattentat: Nämlich, dass Agca vom Geheimdienst angeheuert wurde. Im
Hintergrund habe der KGB die Fäden gezogen. Denn der stramm antikommunistische Johannes
Paul II. unterstützte die Gewerkschaft Solidarność in seinem Heimatland Polen
und galt deshalb als ernste Bedrohung. Agca selbst nannte 1982 Namen
angeblicher bulgarischer Hintermänner. Aber der Prozess gegen sie endete 1986
in Freisprüchen aus Mangel an Beweisen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die „bulgarische
Spur“ längst ein Eigenleben angenommen. Vor allem die Reagan-Administration
propagandierte sie als Beleg dafür, dass Moskau die Quelle allen Übels sei.
Heute ist die Spur „verblasst“, wie der ehemalige Untersuchungsrichter Rosario
Priore meint. Und selbst der Pontifex bekundete bei einem Besuch in Sofia 2000,
„niemals“ daran geglaubt zu haben.
Bleibt die „interne
Spur“: Folgt man den Vertretern dieser These, so wollten innerkirchliche Gegner
den Hardliner Johannes Paul II. stoppen. 2010 goss der notorische
Selbstdarsteller Agca, der 19 abweichende Versionen zu seinen Hintermännern aufgetischt
hat, auch hier Öl ins Feuer: Er bezichtigte den verstorbenen Kardinalstaatssekretär
Agostino Casaroli der Kopf der Verschwörer gewesen zu sein. Wirklich auf den
Grund gegangen ist man der „internen Spur“ nie – zu oft wurden Fragen der
Ermittler mit dem Hinweis auf Souveränität des Vatikans abgeblockt.
Und schließlich ist
da noch eine dritte Spur zu einem üblichen Verdächtigen: Der Mafia. Demnach
wurde der Papst „bestraft“, weil Gelder des organisierten Verbrechens beim
Zusammenbruch der Banco Ambrosiana verloren gegangen waren. Zuvor hatte dieses Mailänder
Geldhaus gemeinsam mit der Vatikanbank eine undurchsichtige Rolle bei der
Finanzierung der Solidarność gespielt. Auch in diesem Fall fehlen eindeutige
Beweise. Wer auch immer das Attentat bestellte, es war letztlich ein Fehlschlag:
Johannes Paul II. erholte sich schnell. Seine Entschlossenheit wurde durch die
Überzeugung, mit himmlischem Beistand überlebt zu haben, erst recht
angestachelt.
Und Otto Tinter?
Das kleine Rädchen im „Verbrechen des Jahrhunderts“ wurde im Mai 1983 wegen
seines umfangreichen privaten Waffenarsenals zu fünf Monaten bedingt
verurteilt. Im Jahr darauf hagelte es noch eine saftige Geldstrafe wegen
Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung. Antworten blieb Tinter bis zuletzt
schuldig: „Ich bin 73 und zu 80 Prozent invalid. Ich kann mich nicht an alles
erinnern.“
Hinweis:
Geringfügig gekürzte Version ist am 22. Juni in der Presse am Sonntag
erschienen.