Donnerstag, 24. September 2015

35 Jahre nach dem Oktoberfestattentat – Verbindungen nach Österreich?

Das Oktoberfestattentat am 26. September 1980 war mit 13 Todesopfern und 211 Verletzten der schlimmste Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik. Den damaligen Ermittlungen zufolge hatte der Geologiestudent Gundolf Köhler, ein früherer Anhänger der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG Hoffmann), eine Bombe in einen Abfalleimer beim Haupteingang der „Wiesn“ gelegt. 2014 nahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf, nachdem neue Zeugenaussagen Zweifel an der Einzeltätertheorie genährt hatten. Im vorliegenden Artikel geht es um die Frage, welche Beziehungen die tatverdächtige WSG Hoffmann nach Österreich unterhielt bzw. ob es in der damals rund 50 Vereine umfassenden rechtsextremistischen Szene ähnliche Strukturen gab.

Heute erinnert ein Denkmal am Schauplatz des Oktoberfestattentats an die Opfer (alle Fotos: Autor)
„Freundeskreis zur Förderung der WSG“
Im Vorfeld des Staatsbesuchs von Erich Honecker in Wien im November 1980 analysierte die Stasi mögliche Bedrohungsquellen von rechts- wie linksextremer Seite. Unter anderem heißt es in dem Dokument: „Die illegal weiterhin aktive ‚WSG‘ verfügt über intakte Verbindungen nach Österreich. Zur Finanzierung existiert ein sog. ‚Freundeskreis‘, dessen Mitglieder zum Teil auch in Österreich ansässig sind. Bekannt ist u. a. das Mitglied der österreichischen NDP [Nationaldemokratische Partei, Name geschwärzt]. Über ihn gibt es Verbindungen zur ‚Aktion Neue Rechte‘. Seine Ehefrau ist Verantwortliche für die Standortgruppe Salzburg der ‚ANR‘.“An anderer Stelle heißt es, der Verband österreichischer Kameradschaften, eine Abspaltung des Österreichischen Kameradschaftsbunds (ÖKB), sei in Kontakt mit der WSG. Für den 17. Mai 1980 war ursprünglich ein Treffen unter Teilnahme von Mitgliedern der WSG und der ANR geplant gewesen.
Auszug aus einem Bericht der Arbeiter-Zeitung vom 30. 9. 1980 (Quelle: www.arbeiter-zeitung.at)
Die rechtsextreme Szene in Österreich Anfang der 1980er Jahre
Was die genannten Organisationen betrifft, so machte die ANR Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre durch provokante Aktionen auf sich aufmerksam. Die Truppe um Bruno Haas legte Waffenlager an, zettelte Schlägereien an und hielt „Ehrenwachen“ an den Gräbern von Nazi-Größen ab. „Schulungsabende“ dieser laut Hans-Hennig Scharsach „ersten neonazistischen Kaderorganisation auf österreichischem Boden“ wurden von Gerd Honsik und Gottfried Küssel geleitet.

Die NDP wiederum war 1967 von Norbert Burger gegründet worden, der Schlüsselfigur der extremen Rechten in dieser Zeit. 1925 geboren konnte Burger auf eine bemerkenswerte Laufbahn zurückblicken: Der begeisterte Burschenschafter gründete 1953 den Ring Freiheitlicher Studenten, studierte Rechtswissenschaften und brachte es zum Universitätsassistenten in Innsbruck. In den 1960er Jahren war Burger tief in den Südtirolterrorismus verstrickt. Von ihm rekrutierte junge Attentäter gingen 1961 auf den sogenannten „Kinderkreuzzug“, um den Terror nach Italien zu tragen. Dafür wurde er in Italien in Abwesenheit zu 28 Jahren Haft verurteilt. Burgers politischer Karriere tat dies keinen Abbruch: 1963 aus der FPÖ ausgetreten, etablierte er die NDP, deren Programm im Wesentlichen mit dem Zielen der NSDAP übereinstimmte, wie der Verfassungsgerichtshof später feststellte.

Bis zur behördlichen Auflösung 1988 war die NDP ein zentrales Sammelbecken der Rechten: Gerd Honsik, Gottfried Küssel oder Walter Ochensberger – sie alle waren irgendwann einmal mit Burger verbunden. Rund um die NDP existierte überhaupt ein Netzwerk an rechtsextremen Kleingruppen. Dazu zählten neben der bereits erwähnten ANR die „Kameradschaft Babenberg“, die „Nationale Front“, die „Nationalistische Front“, die „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“ mit ihrer „Wehrsportgruppe Trenck“ und der „Nationalistische Bund Nordland“.


 „Größte Wehrsportgruppe Österreichs“ – die „Babenberger“
Wenige Monate vor dem Oktoberfestattentat sorgt ein ähnlicher Verband wie die WSG-Hoffmann in Österreich für Schlagzeilen, der Verein „Kameradschaft Babenberg“. Es handeltet sich um eine Gruppe junger Neonazis, die sich seit 1979 rund um den abgelegenen Lindenhof bei Rapottenstein hartem Drill unterzog: Karate, Schießen, Konditionssport sowie militärische Geländeübungen. Zu diesem Zweck war der Hof mit einer "militärischen Hindernisbahn", einem Schlafsaal für 60 Personen, einer Sporthalle und "diversen Wehrsportanlagen" ausgestattet worden. Gegründet hatte die „Kameradschaft Babenberg“ 1969 der wegen Wiederbetätigung verurteilte Ex-Wehrmachtoffizier Arthur Maichanitsch – als Teilorganisation des ÖKB. Der weltweit gesuchte NS-Kriegsverbrecher Alois Brunner erteilte von seinem Fluchtort Damaskus aus Ratschläge – so schrieb er 1969 an Maichanitsch: „Vor allem ihre jungen Menschen nicht nur gegen Ungeist und Unrat demonstrieren lassen, sondern vielmehr auf weitere Fortbildung raten, damit sie dann für die nachkommenden Babenberger viel tun können.“

Nach dem Ausschluss aus dem ÖKB (1974) ging die „Kameradschaft Babenberg“ eigene Wege und entwickelte wie die WSG paramilitärische Strukturen. Regelmäßig wurden Übungen abgehalten, die man als „knallharte Freizeitbeschäftigung“ bezeichnete. Am 12. Juni 1974 standen „Weltanschauliche Tischgespräche“ mit dem pensionierten Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz auf dem Programm – rund um dessen antisemitischen Äußerungen hatte sich neun Jahre zuvor eine „Affäre“ entzündet, die in Folge zu einer Demonstration mit dem ersten politischen Todesopfer der Zweiten Republik führte

Nach Paragraph 2 der Satzung erstrebten die "Babenberger" "die Förderung des traditionellen Vaterlands- und Heimatgedankens, des bodenständigen Volkstums, der ununterbrochenen österreichischen Soldatentradition und damit des Gedankens der Landesverteidigung und der Wehrbereitschaft." Was hinter den Kulissen am Lindenhof geschah, schilderte Mitte der 1980er Jahre ein damals 18jähriger Schüler so: "Am Morgen war eine Flaggenparade. Es wurde die rotweißrote Fahne gehisst. [...] Nach der Körperreinigung und dem Frühstück versammelten wir uns rottenweise und exerzierten die einzelnen Stationen durch. Bei dem Pfingstlager wurden auch Schusswaffen verwendet, und zwar Kleinkalibergewehre der Marke Erma. Es wurde auf Scheiben geschossen." 

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands fasste die „Charakteristik“ der „Babenberger“ 1979 so zusammen: „Die ‚Babenberger-Kraftfahrstaffel‘ ist als ‚Verein der Schwimm- und Kübelwagenfahrer‘ vereinspolizeilich gemeldet. In den Gießhübler-Steinbrüchen wird exerziert. Heldenfeiern am Leopoldsberg. In ihrem Mitteilungsblatt laufend Attacken gegen österreichische Widerstandskämpfer und Amnesty International. Diverse Slogans und Anzeigen: ‚Stimmt die Proportion der Schuld noch? Katyn? Kriegsschuld? Auschwitz? Stalingrad? Sagt uns die Wahrheit über Adolf Hitler‘, ‚Nicht vergessen: Unsere Väter waren keinen Verbrecher – sondern Helden!‘“

"Die Küche war an keinem Abend zusammengeräumt"
Als Anfang April 1980 in der Vereins-Zeitschrift „Der Babenberger“ unter der Überschrift „Der Staatsvertrag ist ein Diktat“ großdeutsche Ideen propagiert wurden, leitete das Innenministerium die Auflösung ein. Doch wie „profil“ 1980 berichtete, gingen die Übungen im Waldviertel weiter: „Jedes Wochenende raffen sich Wiener Freizeitfaschisten zu ‚wehrsportlicher Ausbildung und Schulung‘ auf, robben durch Schlamm und Dreck und nehmen auch mal Bolschewisten aus Pappe mit Kleinkaliber unter Beschuss. […] Österreichs Staatschützer in Zivil haben die emsigen Hoffmann-Jünger im Aug, bleiben aber auf distanziertem Beobachterposten. Die biederen Waldviertler finden kein arg, an dem ‚eh si friedlichen‘ Nazimilitärlager und stauen allenthalben darüber dass der ‚Lindenhof‘ recht oft Besucher aus der Bundesrepublik hat.“ Ein „Pfingstlager“ im Lindenhof 1983 verlief dennoch nicht zur Zufriedenheit von Gottfried Küssel, der Anfang der 1980er Jahre der „quasi militärische Ausbildner“ der ANR war. In seiner „Lagerbeurteilung“ hieß es: „Gesamt gesehen muss auf das Schärfste der Stab gerügt werden, da die Küche an keinem Abend zusammengeräumt war und einen chaotischen Eindruck machte. Auch die äußere Form der Stabsgruppe ließ sehr zu wünschen über (Alkoholismus am Abend).“

„Wachsames Auge“
Unmittelbar nach dem Oktoberfestattentat wurde seitens des Innenministeriums „jenen Kreisen erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet“, wo man Kontakte zur WSG Hoffmann vermutete. „Zum Einschreiten gab es jedoch keinen Anlass“, berichtete der damalige Innenminister Erwin Lanc am 30. September 1980, vier Tage nach dem Attentat. Vorwürfe auf dem rechten oder auf dem linken Auge blind zu sein, wies Lanc zurück. Die rechtsextremen Gruppen in Österreich habe man unter Kontrolle: „Soweit sie im Rahmen eines demokratischen Rechtsstaats erfassbar sind, werden sie auch erfasst.“ So sei den Behörden seit längerem bekannt gewesen, dass die WSG Hoffmann über Österreich Transporte von ausrangierten Bundeswehrfahrzeugen (Jeeps und Motorräder) in den Nahen Osten vornahm – und diese vorzugsweise an die Palästinensische Befreiungsfront (PLO) im Libanon verkaufte. Man lasse hier „ein wachsames Auge obwalten“, meinte Lanc. Einen Tag nach dem Oktoberfestattentat war ein solcher Konvoi von drei Unimog-LKWs und drei VW-Kübelwagen um 13.50 Uhr an der bayrisch-österreichischen Grenze bei Schwarzbach gestoppt und zurückgeschickt worden. Vier WSG-Leute versuchten es am 1. Oktober 1980 mit drei Unimogs und drei VW-Kübelwagen erneut an derselben Stelle, ohne Erfolg. Zwischenzeitlich waren 16 WSG-Leute festgenommen und schnell wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Man hatte ihnen nichts nachweisen können.

Hoffmanns Helfer in Österreich
Im Verfassungsschutzbericht von 1980 hielt das deutsche Bundesinnenministerium fest: „Mitglieder des 1979 gegründeten österreichischen ‚Nationalistischen Bundes Nordland‘ [NBN] unterhielten Verbindungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann bis zu deren Verbot. Das NBN-Organ ‚Der Stoßtrupp‘ verbreitet nationalsozialistisches Gedankengut. Wiederholt fuhren deutsche Rechtsextremisten im Berichtsjahr zu Gesinnungsgenossen nach Österreich. So fanden 'Führergedenkfeiern' in Braunau und ein 'Wiking-Jugend-Lager' in Kärnten statt. An der deutsch-österreichischen Grenze wurden wiederholt deutsche Rechtsextremisten zurückgewiesen.“ Der NBN war 1979 entstanden. Seine Mitglieder traten in SS-ähnlichen Uniformen auf und hielten Wehrsportlager ab. Viele stammten ursprünglich aus der ANR, die ihnen nun aber zu gemäßigt war. Ein Mitglied der NBN, Attila Bajtsy, war nachweislich auf Schloss Emreuth bei WSG-Chef Karl-Heinz Hoffmann zu Gast und nahm an Übungen teil. Publizistische Unterstützung  wiederum kam von der Neonazi-Postille „Sieg“ des NDP-Aktiven Walter Ochensberger. Diese widmete sich nicht nur 1979 dem Thema „Frauen in der WSG“, sondern beklagte nach dem Verbot der Wehrsportgruppe den „Justizterror in der BRD“.

Was die weiteren Kontakte der WSG Hoffmann nach Österreich angeht, so wurde der eingangs erwähnte „Freundeskreis zur Förderung der WSG“ von einem Salzburger Spengler und NDP-Mann geleitet – mit dem erklärten Zweck, „die materiellen Voraussetzungen zur Erhaltung und Ausbreitung der WSG zu organisieren“. Mit dabei war ein ÖVP-Kommunalpolitiker, der Hoffmann 1975 bei einem Schwimmwagen-Treffen am Mondsee kennengelernt hatte (nach dem Verbot der WSG Hoffmann distanzierte er sich: „Für mich ist das seit Jahren abgeschlossen“). 1983 wurde dann in Graz ein Neonaziring ausgehoben, der Anschläge gegen Gedenkstätten ausgeführt hatte. Einer der Festgenommen war deutscher Staatsbürger mit Verbindungen zur WSG Hoffmann.

„Werk eines Wahnsinnigen“
Die Staatspolizei hatte sich nach dem Oktoberfestanschlag gelassen gegeben: „Das Attentat in München war doch das Werk eines offenbar Wahnsinnigen. Und so weit sind wir hier zum Glück noch nicht.“ Nur wenige Monate später, ab Ende September 1981, erschütterten rechtsterroristische Bomben ein ganzes Jahr lang Österreich: Die Sprengkörper explodierten unter anderem vor den Wohnungen von Simon Wiesenthal, Oberrabbiner Akiba Eisenberg und ORF-Journalist Alexander Giese. Opfer gab es wie durch ein Wunder keine, der Sachschaden war beträchtlich. Als Bombenleger vor Gericht gestellt wurde der deutsche Neonazi Ekkehard Weil, der über zahlreiche Helfer in der NDP und von anderen Gruppen verfügt hatte - dazu zählte auch der NBN-Mann Bajtsy. Maichanitsch wiederum war der erste Quartiergeber von Weil, nachdem dieser nach Österreich geflüchtet war.

Nach den behördlichen Verboten von NDP und ANR traten Gruppierungen wie die "Volkstreue außerparlamentarische Opposition"(VAPO) von Küssel und die „Kameradschaft Langenlois“ von Hans Jörg Schimanek an deren Stelle. Diese Strukturen wurden Anfang der 1990er Jahre zerschlagen. Ab 1993 kam es „Briefbombenterror“ und dem Anschlag von Oberwart, ehe 1997 Franz Fuchs verhaftet werden konnte. Heute sendet die Szene deutliche Lebenszeichen aus: Zuletzt wurde 2013 in Oberösterreich ein kriminelles Netzwerk mit teils rechtsextremem Hintergrund zerschlagen („Objekt 21“). Beklemmender Befund eines deutschen Undercover-Journalisten, der auch die Neonazi-Szene in Österreich recherchierte: „Die Nazi-Szene boomt!“