Dienstag, 8. April 2014

„Wie ein Verbrecher behandelt“: Neue Dokumente zeichnen ein tragisches Bild von Georg Klotz

Georg „Jörg“ Klotz gilt bis heute als einer der umstrittensten Köpfe der Südtiroler Freiheitsbestrebungen. Der gelernte Schmied und Weltkriegsveteran war einer der wenigen im BAS mit militärischer Ausbildung. Nach der „Feuernacht“ von 1961, einer Sabotageaktion gegen Strommasten, entzog sich Klotz der Verhaftung durch Flucht nach Österreich. Wie alle Südtiroler Flüchtlinge erhielt er Asyl – allerdings mit der Auflage, sich jeder politischen Tätigkeit zu enthalten. Klotz versuchte aber weiterhin Widerstandsaktionen gegen den italienischen Staat zu organisieren. Nach dem Vorfall mit den OAS-Leuten und freimütigen Interviews erging Ende Mai 1964 ein Aufenthaltsverbot für das gesamte Bundesgebiet. Klotz und sein wichtigster Mitstreiter Luis Amplatz durften Wien nicht verlassen. Am 22. August 1964 verschwanden die beiden in einem Leihwagen nach Westen.

Der Versuch, in Italien „einzusickern“ endete tragisch: Als Klotz und Amplatz die Nacht vom 6. auf den 7. September 1964 in einer Heuhütte in Saltaus am Passeier verbrachten, schoss ihr Begleiter Christian Kerbler auf sie – Amplatz starb an Ort und Stelle, Klotz konnte schwer verletzt zurück über die Grenze entkommen. Kerbler war ein Spitzel des italienischen Militärgeheimdiensts SISMI gewesen. In einem Verschlussakt des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten heißt es, Kerbler habe „durch Abgabe von 3 Schüssen auf den schlafenden Louis Amplatz diesen ermordet und ihn (Klotz) durch Abgabe von 3 Schüssen, von denen einer sein Ziel verfehlt habe, zu ermorden versucht […]. Während der Abgabe der Schüsse habe Christian Kerbler mit einer Taschenlampe den Georg Klotz abgeleuchtet. Georg Klotz wies nach seiner Rückkehr nach Österreich tatsächlich 2 Verwundungen auf, und zwar einen Steckschuss in die Brust und einen Streifschuss an der Oberlippe.“

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Wörgl wurde Klotz in Schubhaft genommen – vor der Überstellung nach Wien kam es zu ernsten Kompetenzstreitigkeiten wie aus einem Dokument im Staatsarchiv hervorgeht: Sicherheitsorgane vor Ort lehnten die Herausgabe von Klotz ab, „da sie vom Bezirkshauptmann und dem Sicherheitsdirektor strikten Auftrag haben, jede Entfernung […] unter allen Umständen zu verhindern. Es muss damit gerechnet werden, dass die diensthabenden Exekutivorgane von ihrer Waffe Gebrauch machen.“ Erst nach Rücksprache mit höheren Dienststellen wurde Klotz ausgehändigt.

Zurück in Wien wurde der Südtiroler erneut strengen Auflagen unterworfen und hatte alle Handlungen unterlassen, „die geeignet sind, die öffentlichen Interessen der Republik Österreich zu schädigen“. Zurückgezogen wohnte Klotz in einer ärmlichen Kammer in einem Altbau in der Wiener Innenstadt (Riemergasse Nr. 10) – den Schützenhut und einen Säbel über dem Bett befestigt. Verbittert schrieb er am 30. Mai 1965 an Bundeskanzler Josef Klaus: „Ich will doch nichts anderes, als dass meine engere Heimat wieder dort zurückkommt, von wo sie mit Gewalt und gegen jedes Recht abgetrennt wurde, […]. In jedem anderen Land werden Leute, die sich dieser Sache annehmen unterstützt und genießen jede Förderung und Ansehen, während ich hier wie ein Verbrecher behandelt werde.“

Riemergasse Nr. 10: Bleibe von G. Klotz in Wien (Foto: Autor)

1965 wandte sich der Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer an den damaligen Außenminister Bruno Kreisky. Klotz sei „bedenklich krank“: „Wenn er in einem Krankenhaus in Wien oder auch nur in einem außerhalb des Landes Tirol sterben sollte, wird man einen Helden geschaffen haben, der in der Fremde geblieben ist.“ Um dies zu verhindern, schlug Wallnöfer vor, Klotz in Tirol eine „ordentliche Existenzgrundlage“ zu schaffen. Kreisky hielt das für eine „menschlich gute Lösung“: „Ich bitte Sie aber schon, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, dass Sie Herrn Klotz die Situation klarmachen und von ihm die Zusage verlangen, dass er in Zukunft an keinerlei Gewaltaktionen oder Plänen teilnimmt oder dazu aufmuntert.“ Klotz machte eine entsprechende Zusage, nahm aber die angebotene Wohnung und Arbeitsmöglichkeit nicht an. Erneut kam es nach mehreren Interviews und Aufrufen von ihm über einen „Freiheitssender“ zur Konfrontation mit den Behörden. Ein Emissär warnte Landeshauptmann Wallnöfer, dass die „Verhandlungsbereitschaft Italiens“ beeinträchtigt werde, wenn man die „neue Welle der Aktivität der Terroristen“ nicht unterbinde. Dem „verantwortungslosen Verhalten der Extremisten“ müsse „energisch“ entgegengetreten werden. Klotz wurde erneut in Schubhaft genommen – doch der Versuch, ihn in Deutschland unterzubringen scheiterte. Man wurde das Problem Klotz nicht los.

1969 wurde ihm der Aufenthalt in Tirol wieder erlaubt. Dort lebte er zurückgezogen in einer einfachen Holzhütte im Gemeindegebiet von Telfes bis zu seinem Tod 1976 im Alter von 57 Jahren. Nach Südtirol, wo die Ehefrau und die sechs Kinder verblieben waren, hatte er nicht mehr zurückkehren können. Noch am 19. Juni 1974 hatte Klotz beim nunmehrigen Bundeskanzler Kreisky vorgesprochen: Dieser erklärte sich bereit, für eine Begnadigung zu „intervenieren“. Klotz wiederum sagte zu, künftig „organisatorisch oder politisch“ nichts mehr gegen Italien unternehmen zu wollen. Doch der Vorstoß fruchtete nichts: Zu schwer wog die Haftstrafe von über 50 Jahren, zu der Klotz in Abwesenheit verurteilt worden war. Aus Rom hieß es, der italienische Staatspräsident könne ohne Einvernehmen mit dem Generalstaatsanwalt und dem Justizminister keinen Gnadenakt erlassen. Auch wenn Klotz letztlich mehr eine tragische Figur abgab, ist sein Vermächtnis lebendig: Seine älteste Tochter Eva sitzt seit 1983 im Südtiroler Landtag und ist eine der vehementesten Stimmen für die Selbstbestimmung.