Eine Serie zum Thema Terrorismus und Nachrichtendienste in Österreich - als Kapitel erschienen in: "Tage des Schreckens: Die OPEC-Geiselnahme und die Anfänge des modernen Terrorismus" (2015)
http://www.amazon.de/dp/B018NX2AHQ/ref=cm_sw_r_tw_dp_CbDZwb0Z92SRF
1971 besuchte der damalige Bundespräsident Adolf Schärf den Vatikan. Im Rahmen des Empfangs bekundete Papst Paul VI., Österreich wäre „eine wahre Insel der Seligen“. Das Zitat ist seitdem zum geflügelten Wort geworden und steht für ein sicheres, konsensorientiertes und neutrales Land, das sich von negativen internationalen Entwicklungen abkoppeln konnte. Das gilt insbesondere für Terrorismus. Dieser ist im Kontext der politischen Entwicklung der Zweiten Republik selten geblieben. Eine statistische Auswertung des Kriminalisten Richard Benda und der „Kurier“-Journalistin Ingrid Gabriel für das Buch „Terror rot/weiß/rot“ ergab für die Jahre 1959-1988 16 Todesopfer und 112 Verletzte. Bei den Toten handelte es sich um einen Politiker, den Wiener Stadtrat Heinz Nittel, drei Diplomaten, sechs Unbeteiligte, drei Polizisten und zwei Täter. In den knapp drei Jahrzehnten fanden außerdem insgesamt 113 Bombenanschläge statt, deren Hauptschauplatz eindeutig in Wien (64), gefolgt von Kärnten (20) und der Steiermark (9) lag.
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1971 besuchte der damalige Bundespräsident Adolf Schärf den Vatikan. Im Rahmen des Empfangs bekundete Papst Paul VI., Österreich wäre „eine wahre Insel der Seligen“. Das Zitat ist seitdem zum geflügelten Wort geworden und steht für ein sicheres, konsensorientiertes und neutrales Land, das sich von negativen internationalen Entwicklungen abkoppeln konnte. Das gilt insbesondere für Terrorismus. Dieser ist im Kontext der politischen Entwicklung der Zweiten Republik selten geblieben. Eine statistische Auswertung des Kriminalisten Richard Benda und der „Kurier“-Journalistin Ingrid Gabriel für das Buch „Terror rot/weiß/rot“ ergab für die Jahre 1959-1988 16 Todesopfer und 112 Verletzte. Bei den Toten handelte es sich um einen Politiker, den Wiener Stadtrat Heinz Nittel, drei Diplomaten, sechs Unbeteiligte, drei Polizisten und zwei Täter. In den knapp drei Jahrzehnten fanden außerdem insgesamt 113 Bombenanschläge statt, deren Hauptschauplatz eindeutig in Wien (64), gefolgt von Kärnten (20) und der Steiermark (9) lag.
Nicht in dieser
Statistik erfasst sind die im Jahr 1989 von iranischen Agenten in Wien
ermordeten drei kurdischen Politiker, von denen einer österreichischer
Staatsbürger war. Zu einem weiteren Fall von Staatsterrorismus kam es 2009: Der
27jährige Umar Israliov war am 13. Jänner vor einem Wiener Supermarkt mit zwei
Schüssen ermordet worden. Nach Erkenntnissen des Landesamts für
Verfassungsschutz hatte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrov den
Auftrag zur Ermordung seines ehemaligen Leibwächters „von oberster Stelle“
angeordnet. 1995 starben zwei Linksradikale bei einem missglückten
Sprengstoffanschlag gegen einen Strommasten im niederösterreichischen
Ebergassing. Weiters forderten sechs Briefbombenserien zwischen 1993 und 1996
vier Todesopfer und 15 Verletzte (darunter der Wiener Bürgermeister Helmut
Zilk), ehe der später als Einzeltäter verurteilte Franz Fuchs 1997 bei einer
Routinekontrolle verhaftet werden konnte. Als im Sommer 2007 ein 44jähriger
Arzt einen Jugendlichen mit einem Pistolenschuss schwer verletzte, stellte sich
in der Folge heraus, dass der Mann für einen Anschlag auf die Wiener
Osmanli-Moschee am 15. November 2005 verantwortlich war. Die Detonation des
Sprengsatzes hatte damals Sachschaden in der Höhe von 5.260 Euro verursacht. In
der Gerichtsverhandlung bezeichnete sich der Arzt selbst als „Terrorist“.
2009 wurden dann
bei einer Schießerei in einem indischen Tempel in Wien ein Prediger getötet und
15 Menschen verletzt. Die Auseinandersetzung dürfte „ausschließlich religiös motiviert“
gewesen sein, dennoch scheint sie als Exkurs im Jahresbericht des Bundesamts
für Verfassungsschutz- und Terrorismusbekämpfung auf. Nimmt man diese
Opferzahlen in die Statistik auf, dann handelt es sich um insgesamt 27 Tote und
141 Verletzte durch terroristische Gewalt in den vergangenen 50 Jahren. Der
Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern zeigt, dass Österreich damit
relativ „glimpflich“ davon gekommen ist: So forderte alleine der
jahrzehntelange Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) in der BRD 67 Tote, 230
Verletzte, 230 Millionen Euro Sachschaden. Mehr als eine Million Asservate im
Polizeiarchiv und elf Millionen Blatt Ermittlungsakten wurden zusammengetragen.
Man verurteilte insgesamt 517 Personen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung und 914 wegen Unterstützung. In Italien wurden die „bleiernen
Jahre“, die Ende der 1960er Jahre begannen und bis Mitte der 1980er Jahre
andauerten, zum Synonym für schrankenlose Gewalt: Bei acht größeren
Sprengstoffanschlägen zwischen 1969 und 1987 wurden 419 Menschen getötet und
1.181 verletzt. Besonders blutig gestalteten sich auch separatistische
Konflikte: Im Nordirlandkonflikt – zwischen republikanischen Gruppen und der
britischen Armee bzw. protestantischen Organisationen – starben 1.778 Menschen,
642 davon waren Zivilsten.
Die Gründe, warum
Österreich weniger betroffen war, sagen viel über die Verfasstheit der Zweiten
Republik aus: Zunächst war in der Bevölkerung weder ein Potential, noch eine
verständnisvolle Haltung für radikale politische Veränderung vorhanden. Unter
dem Primat des „Wiederaufbaus“ nach 1945 seien „gehorsame Jahrzehnte“ gefolgt,
so der Befund des Zeithistorikers Oliver Rathkolb: „Erst in den späten
fünfziger Jahren regte sich Widerstand – vor allem in der Jugendkultur, der in
den sechziger Jahren politisch geprägt war, ohne auch nur annähernd die
Explosionskraft der Jugend- und Protestbewegungen in Frankreich oder auch der
Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen.“ Vor dem Hintergrund der blutigen
Auseinandersetzungen in der Zwischenkriegszeit war das System der Zweiten
Republik bewusst auf die Herstellung von Konsens hin ausgerichtet.
Institutionen wie die Sozialpartnerschaft oder die anteilsmäßige Verteilung von
Macht und Einfluss im öffentlichen Dienst und der verstaatlichten Wirtschaft
(„Proporz“) garantierten Interessens- und Konfliktausgleich zwischen zwei
annähernd gleich großen Parteiblöcken. Während in vielen anderen Ländern
Reformen und gesellschaftlicher Wandel wesentlich konfliktträchtiger erkämpft
werden mussten, erfolgte dies in Österreich in der Tradition des aufgeklärten
Josephinismus – als ein von „oben“ vorangetriebener Modernisierungsprozess: Die
Arbeits- und Strafrechts-, Hochschul-, Rundfunk-, Heeres- und
Raumordnungsreformen der Ära Kreisky bedeuteten Weichenstellungen in
politischer, sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht – und
verminderten so gleichzeitig Konfliktfelder, die anderswo einen „Nährboden“ für
politische Gewalt darstellten.
Es gibt allerdings
noch weitere Faktoren, die dazu geführt haben, dass Österreich als „Ruheraum“
und nicht als Schauplatz terroristischer Gewalt gilt. Im Gegensatz zum
„Aktionsraum“ wird ein „Ruheraum“ (oder sanctuary) für Reisebewegungen, für
Vorbereitungen von Operationen an anderen Orten oder einfach als Versteck
genutzt. Anhand zahlreicher Beispiele, die im Verlauf dieser Studie noch
vorgestellt werden, wird belegt, dass Österreich diese Funktionen für
Terroristen erfüllte. Paradoxerweise gilt das Land gleichzeitig als
„Spielweise“ internationaler Geheimdienste. Und darüber hinaus gerät die
Bundeshauptstadt auch immer wieder als ein bevorzugter Wohn- oder Anlageort
osteuropäischer Oligarchen, arabischer Potentaten und Mafia-Paten in die
Schlagzeilen. „Wien war immer ein Rückzugsgebiet für Schmuggler und Verbrecher
aller Art. Immer gab es auch politische Verflechtungen und daraus entstandene
Freundschaftskontakte. Das alles hat sich im Wesen bis heute nicht verändert“,
meinte dazu der ehemalige Leiter des Wiener Sicherheitsbüros Max Edelbacher.
Die Frage, warum Wien so viele dubiose Gestalten anziehe, beantwortete
Edelbacher so: „Da ist einmal das sehr einladende Bankensystem, diese
balkanesische Gastfreundschaft und die Mentalität des Gebens und Nehmens. Das
zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Geld stinkt nicht in
Österreich, da fragt niemand, woher das stammt.“
Dass Österreich zu
einem „Ruheraum“ bzw. zu einem Umschlagplatz für geheimdienstliche
Informationen und dunkle Geschäfte geworden ist, war nicht kalkuliertes Ergebnis
einer offiziellen Politik. Dies erklärt sich vielmehr aus dem Zusammenspiel
mehrerer Faktoren: Zentrale geografische Lage, seit 1955 verbriefte
Neutralität, diskrete Absprachen sowie bis in die Nachkriegszeit
zurückreichende Abhängigkeiten, die schwer rückzubauen sind. Jedenfalls ist
Österreich nach dem Ende des Kalten Krieges und „heute vielleicht sogar mehr
denn je“ ein Zufluchtsort für undurchsichtige Gestalten geworden, brachten es
Emil Bobi und Othmar Lahodynsky 2010 in „profil“ auf den Punkt: „Für diese
Zielgruppe hat Wien historisch gewachsene Strukturen parat, die nicht nur
diesen Gästen, sondern auch dem Land Vorteile bringen. Das ist zwar nicht immer
sympathisch, aber fast immer nützlich.“
2014 ging Bobi in
„Die Schattenstadt“ der Frage nach, warum Wien zudem „Welthauptstadt der
Spionage“ geworden ist. Seine These: „Der Grund ist nicht, wie immer behauptet
wird, der Kalte Krieg und nicht die Attraktivität der Stadt, sondern: Der
Wiener und sein Wesen. […] Der Wiener ist ein Natur-Agent.“ Bobi erklärt das
mit der Mentalität. Die „rätselhaften Packeleien mit der Halbwelt“ seien
Produkt einer Überlebensphilosophie: „Den Vorteil nehmen, anstatt sich der
Konfrontation auszusetzen, mitkassieren, statt anzustreifen. Man kann ohnehin
nichts ändern, die Obrigkeiten nicht brechen; aber man kann sein eigenes
Auskommen arrangieren.“
Das neutrale
Österreich habe somit einen auf den ersten Blick paradox anmutenden Weg
gefunden, für stabile Verhältnisse zu sorgen: Allen potentiellen
„Unruhestiftern“ ein Umfeld zu bieten, in dem sie sich wohlfühlen und ungestört
ihren Aktivitäten nachgehen können – solange nichts „passiert“ und damit
Österreichs Sicherheit betroffen ist. Dazu hält Bobi fest: „Spione sind
willkommen und gegen die eine oder andere Gegenleistung erfahren sie alles, was
man hier weiß. Dafür wird die Stadt selbst verschont: Die Geheimdienste, die
Mafia-Größen, die Großkriminellen, die terroristischen Schläfer und die anderen
Schattenfiguren der Macht nutzen Wien als Ruheraum, bringen ihre Schäfchen ins
Trockene, genießen das Bankgeheimnis und das einschlägige Verständnis der Stadt
für ihre Zielgruppe. Ihren Organisationen ist es strikt verboten, in dieser
Stadt aufzufallen oder gar Schießübungen zu veranstalten. Tatsächlich ist Wien,
verglichen mit der Dichte der anwesenden einschlägigen Personen,
unverhältnismäßig ruhig.“
Nicht umsonst
ließen die Behörden in den 1990er Jahren die Mafiapaten aus Osteuropa gewähren,
so der Ex-Sicherheitsbürochef Edelbacher: „Wir konnten sie nur beobachten. Wir
sind dann vor dem Hilton, dem Ana Grand Hotel, dem Marriott gestanden. Alles
sinnlos. Wir durften zusehen, wie sie vorgefahren sind, aber nicht mithören,
was sie dann im Hotel besprochen haben.“ Es habe tatsächlich so etwas wie ein
Stillhalteabkommen gegeben: „Es wurde nicht groß an die Wand geschrieben, aber
der geheime Slogan war, dass wer Ruhe gibt, auch Ruhe hat.“ Hier spielte auch
die Schwäche spezialisierter Sicherheitsstrukturen hinein: Die Einsatzgruppe
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (EDOK) zählte damals rund 60
Mitarbeiter, darunter zwei mit akademischem Abschluss. Die überwiegende
Mehrheit – rekrutiert aus Gendarmeriedienststellen und dem Wiener
Sicherheitsbüro – musste sich nun mit komplexen Transaktionen und verdächtigen
Personen herumschlagen, die in ihren Herkunftsländern Verbindungen in höchste
politische Kreise unterhielten. Die Sondereinheit des Innenministeriums, so
lautete die Kritik von Fachleuten, konnte die organisierte Kriminalität „nicht
einmal beobachten, von einer effizienten Bekämpfung ganz zu schweigen“. In
Österreich, so Edelbachers Fazit 2008, bestehen „relevante Strukturen
organisierter Kriminalität“: „Sowohl die sizilianische Mafia, die Camorra als
auch russische Gruppierungen haben sich in Österreich festgesetzt.“ Das Land
diene primär als „Ruhezone“, „doch niemand weiß, wie sich dieses Phänomen
weiterentwickeln wird“. Ungeachtet der Morde an den Geschäftsleuten Sergej
Achmedow (1994) und Izrael Laster (1996) sowie dem georgischen Mafia-Paten
David Sanikidze (1996) gilt Wien bis heute als „sicherer Hafen“ – oder wie es
der Journalist Florian Horcicka formulierte: „Geschossen wurde lieber in
Budapest, Warschau oder Bratislava – in Wien ging und geht es
österreichisch-gemütlich ab – meistens jedenfalls.“
Wenn es dennoch
„laut“ wird und kein anderer Ausweg bleibt, als sich einzumischen, macht die
Republik oft keine besonders gute Figur: Am 13. Juli 1989 wurden drei Kurden in
einer Wohnung in der Linken Bahngasse Wien ermordet. Abdul Rahman Ghassemlou
und Abdullah Ghaderi-Azar, beides hochrangige Mitglieder der Demokratischen
Kurdischen Bewegung (DPIK), waren gemeinsam mit dem Universitätsprofessor Fadul
Rasoul von einem Killerkommando der Iranischen Revolutionsgarden in eine Falle
gelockt worden.
Allerdings unterlief
den Mördern im Zuge der kurzen Schießerei ein Missgeschick: Der Anführer des
Kommandos, Mohammed Djafari-Saharoodi, wurde von einem Querschläger verletzt.
Gemeinsam mit seinem Untergebenen Amir Mansour Bozorgian wurde er am Tatort
aufgegriffen. Obwohl sich der Verdacht erhärtete, dass die Iraner am Blutbad
zumindest beteiligt waren, erging gegen sie zunächst kein Haftbefehl. Bozorgian
flüchtete sich sofort auf das exterritoriale Gelände der iranischen Botschaft,
wo er dem Zugriff der Behörden entzogen war. Saharoodi wiederum durfte sobald
es sein Gesundheitszustand erlaubte, das Land verlassen: 11 Tage nach dem Mord
an den drei Kurden wurde er von einer Polizeieskorte zum Flughafen Schwechat
gebracht, um nach Teheran zu fliegen. Bozorgian gelang dann wahrscheinlich im
Dezember 1989 die Flucht: Zuvor hatte man die lückenlose Polizeiüberwachung vor
der iranischen Botschaft, in die er sich geflüchtet hatte, auf Druck des
Außenministeriums abgezogen. Die Furcht vor möglicher Vergeltung war zu groß
gewesen. Man wollte die Beziehungen zum Iran normalisieren und „weitere Opfer“
vermeiden, wie Außenminister Alois Mock meinte.
Als sich 2007 eine
junge Ukrainerin unter ungeklärten Umständen auf dem Grundstück der Wiener
Villa von Saif Gaddafi (dem Sohn des gestürzten libyschen Diktators)
lebensgefährlich verletzte, reiste dieser nur wenige Stunden später ab – an
Bord des Jets eines österreichischen Bauunternehmers. Die Ermittlungen wurden
ohnedies eingestellt. Am 14. Juli 2011 wurde der mit Interpol-Haftbefehl
gesuchte ehemalige KGB-Offizier Michael Golowatow am Wiener Flughafen
verhaftet. „Vertreter der russischen Botschaft bemühten sich sofort um den
Festgenommenen, der Botschafter intervenierte telefonisch um 3.20 Uhr beim
Wiener Oberstaatsanwalt Werner Pleischl und konnte eine Überstellung Golowatows
in eine Justizanstalt verhindern. Wenige Stunden später war er frei und konnte
ein Flugzeug nach Moskau besteigen“, berichtete die „Zeit“.
Schon fast zu einer
Staatsaffäre ausgewachsen hat sich die Causa um Rakhat Alijev: Dieser war bis
zur Zwangsscheidung Schwiegersohn des seit 1990 amtierenden kasachischen
Präsidenten Nursultan Nasarbajew gewesen. Außerdem war er Hauptaktionär einer
der größten kasachischen Banken, der Nurbank. Als zwei Manager dieser Bank 2007
verschwanden, verlangten die kasachischen Behörden von Österreich (wo Alijev
damals Botschafter war) die Auslieferung. Weil erhebliche Zweifel daran
bestanden, dass Alijev ein rechtsstaatliches Verfahren erwartete, wurde dies
2007 und 2011 verweigert. Dreimal soll der kasachische Geheimdienst KNB
daraufhin eine Entführung Alijevs geplant haben. Österreich sei seinem Ruf, „der
Tummelplatz schlechthin für Spione aller Herren Länder zu sein“, gerecht
geworden, merkte Alijev in seiner Verteidigungsschrift „Tatort Österreich“
(2013) an: „Die illustren Aktivitäten der kasachischen Geheimdienste nahmen
hierzulande nämlich die Züge eines schlechten James-Bond-Films an.“
Um die guten
wirtschaftlichen Kontakte zwischen Österreich und Kasachstan nicht zu stören,
wurde Aliyev 2011 aufgefordert, Österreich zu verlassen. Er tat dies mit einem
eigens für ihn ausgestellten Fremdenpass und hielt sich danach in Malta auf.
Erst nachdem der Anwalt Gabriel Lansky für seinen Mandanten – den
Unterstützungsverein der Witwen der Mordopfer mit angeblichen Verbindungen zum
KNB – Druck auf die Strafverfolgungsbehörden aufbaute, wurde ein Haftbefehl erlassen.
Alijev wurde nach seiner Rückkehr nach Österreich im Juni 2014 verhaftet. Die
Anklage gegen ihn und zwei kasachische Mitverdächtige wegen Erpressung,
Freiheitsentzug, schwerer Nötigung und Mord hatte das Potential, „eines der
größten Strafverfahren in der österreichischen Justizgeschichte zu werden
(„Tagesanzeiger“). Doch am 24. Februar 2015 wurde Alijev erhängt in seiner
Gefängniszelle gefunden – Hinweise auf Fremdverschulden ergaben sich keine.
Mysteriös geblieben
ist auch der Tod des ehemaligen libyschen Premierministers Shukri Ghanem: Am
29. April 2012 trieb dieser ertrunken in der Neuen Donau. Zuvor soll er laut
Staatsanwaltschaft einen Herzinfarkt erlitten haben. Tatsächlich spricht vieles
gegen die offizielle Version. Unter Gaddafi war Ghanem Chef der staatlichen
Erdölgesellschaft gewesen und hatte die Kontrolle über zahlreiche libysche
Investmentfonds. Laut den Recherchen von Florian Horcicka soll sich Ghanem im
Wiener Exil geweigert haben, Gelder an den revolutionären Übergangsrat freizugeben.
Daraufhin wurde ein Killerkommando in Marsch gesetzt. Dessen Einreise bzw. die
Identitäten der Mitglieder sollen dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz
schon im Vorfeld „detailliert“ bekannt gewesen sein. 2014 wiederum machte ein
angebliches Mordkomplott gegen den ukrainischen Oligarchen Dmitro Firtasch die
Runde. Firtasch, gegen den wegen Veruntreuung von 250 Millionen Dollar ein
US-Haftbefehl vorliegt, sitzt bis zur Entscheidung über eine etwaige
Auslieferung in Österreich fest. Zwischenzeitlich soll ein Killerkommando aus
Ungarn und Rumänien eingereist sein, um Firtasch im Auftrag von geprellten
Gegnern zu ermorden. Ein Staatsanwalt meinte dazu: „Ich habe mich nicht
sonderlich gewundert, denn erstens kommt Firtasch aus dem Osten und zweitens ist
viel Geld im Spiel.“
Ansonsten spielen
sich Aktivitäten von „Schattenkräften“ diskret im Geheimen ab. Was etwa
Spionage betrifft, so kann diese mittlerweile auf eine jahrzehntelange
Tradition am Standort Wien zurückblicken. Nach Kriegsende 1945 hatten sich die
Geheimdienste eingerichtet und blieben seitdem. Die Nähe zum Eisernen Vorhang
prädestinierte die Stadt als Ausgangspunkt für Geheimoperationen,
„Schleusungen“ und Kontaktstelle für Agenten beider Lager. Schaden für
Österreich wurde schon damals nicht befürchtet. Die Sicherheitsbehörden, so der
„Kurier“ 1983, gingen davon aus, dass „alles, was bei uns des Auskundschaftens
wert wäre, längst ausgekundschaftet ist und es den Geheimdiensten bloß noch
darum geht, sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten“.
Mitte der 1980er Jahre waren rund 6.000 „einschlägige“ Personen registriert,
darunter zirka 40 Prozent des Personals östlicher und einen geringeren
Prozentsatz jenes westlicher diplomatischer Vertretungen. Doch die
„Dunkelziffer“ wurde als doppelt so hoch angenommen. Die für Spionageabwehr
zuständige Staatspolizei konnte dagegen gerade einmal 200 Beamte in Wien
aufbieten. „Wie könnten wir denn da auch nur die geringsten Erkenntnisse
gewinnen? Da müssten wir ja jeden einzelnen observieren – und das geht ganz
sicher nicht“, kommentierte ein verantwortlicher Sektionschef das
Missverhältnis.
Fortsetzung folgt