Eine Serie zum Thema Terrorismus und Nachrichtendienste in Österreich - als Kapitel erschienen in: "Tage des Schreckens: Die OPEC-Geiselnahme und die Anfänge des modernen Terrorismus" (2015)
http://www.amazon.de/dp/B018NX2AHQ/ref=cm_sw_r_tw_dp_CbDZwb0Z92SRF
Aus dem Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) von 2014 geht hervor: „Generell sind die Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Österreich ungebrochen hoch und stellen das BVT durch neue und moderne Möglichkeiten der Ausspähung vor große Herausforderungen. […] Trotz sich ständig weiterentwickelnder technischer Möglichkeiten haben auch herkömmliche nachrichtendienstliche Methoden nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Klassische Spione mit großem Engagement für ihr Heimatland sind nach wie vor in einer überdurchschnittlichen Zahl im Einsatz und können eine Gefahr für die Sicherheit und Souveränität der Republik Österreich darstellen.“ So würden „bestimmte Nachrichtendienste“ versuchen, Fertigungstechniken und Forschungsergebnisse zu erlangen. „Ein weiteres Aufklärungsziel stellen für fremde Nachrichtendienste ausländische und u.a. in Österreich aufhältige Oppositionelle oder Oppositionsgruppen dar“, so der Bericht.
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Aus dem Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) von 2014 geht hervor: „Generell sind die Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Österreich ungebrochen hoch und stellen das BVT durch neue und moderne Möglichkeiten der Ausspähung vor große Herausforderungen. […] Trotz sich ständig weiterentwickelnder technischer Möglichkeiten haben auch herkömmliche nachrichtendienstliche Methoden nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Klassische Spione mit großem Engagement für ihr Heimatland sind nach wie vor in einer überdurchschnittlichen Zahl im Einsatz und können eine Gefahr für die Sicherheit und Souveränität der Republik Österreich darstellen.“ So würden „bestimmte Nachrichtendienste“ versuchen, Fertigungstechniken und Forschungsergebnisse zu erlangen. „Ein weiteres Aufklärungsziel stellen für fremde Nachrichtendienste ausländische und u.a. in Österreich aufhältige Oppositionelle oder Oppositionsgruppen dar“, so der Bericht.
Es gibt für
ausländische Nachrichtendienste noch viel mehr zu „holen“: Wien ist ein
traditioneller „Begegnungsort“, zahlreiche internationale Organisationen haben
hier ihren Sitz – angefangen von der OPEC, über die Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), bis hin zur Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEA) und der Organisation für industrielle Entwicklung
(UNIDO). Weiters sind hier wichtige Botschaftsstützpunkte angesiedelt: Neben
dem Iran und Nordkorea (zwischen 1982 und 2004 wickelte die Golden Star Bank AG
in der Kaiserstraße Nr. 12 Geschäfte nordkoreanischer Firmen und Personen ab –
als einzige Bank des kommunistischen Regimes in der westlichen Hemisphäre) verfügt
Russland in der Donaustadt seit den 1980er Jahren über eine regelrechte „Stadt
in der Stadt“ – eine der größten Vertretungen weltweit. Aber auch der Veteran
der US-amerikanischen CIA, Jack Devine, erinnerte sich an das „sehr gute
Jagdrevier Wien“: „Zudem war Österreich ungefährlich, es war weder feindlich
gegenüber dem Osten noch dem Westen. Deshalb war der Standort noch attraktiver.
Hinzu kommt, dass Wien wunderschön ist. Es gibt ein Denguefieber oder Menschen,
die andere köpfen. All das machte es zu einer Stadt, in der jeder sehr aktiv
war.“
Nur manchmal werden
konkrete Operationen bekannt: So soll etwa 2007 ein Team des israelischen
Geheimdienst Mossad in die Wiener Wohnung des Chefs der syrischen IAEA-Mission,
Ibrahim Othman, eingedrungen sein. Auf einem Laptop wurden Pläne für einen
Reaktor gefunden, woraufhin die Baustelle sechs Monate später bombardiert
wurde. Schon im Jahr 2000 spielte die CIA dem iranischen Geheimdienst in Wien
die Blaupause eines Nuklearsprengkopfs zu. Das sollte die Forscher im Iran auf
eine falsche Fährte locken („Operation Merlin“). Gerade im Zuge der
Verhandlungen rund um das iranische Atomprogramm kam es Anfang 2015 zu so
dichten Überwachungsaktionen, dass die beteiligten Diplomaten aufgrund der
freigesetzten Mikrowellenstrahlung keinen Mobiltelefonempfang mehr hatten. „Die
Amerikaner, Briten, Franzosen, Israelis, Iraner sind alle hier. Jeder tut das,
die ganze Zeit über“, sagte der „Mossad“-Experte Yossi Melman.
Nicht umsonst wird
geschätzt, dass die Hälfte der rund 17.000 in Wien akkreditierten Diplomaten
Geheimdienstverbindungen unterhält. Diesen status quo zu ändern, dafür gibt es
keinen politischen Willen. Ex-Sicherheitsbürochef Edelbacher vermutet in
Hinblick auf die Verantwortlichen: „Sie nehmen das halt in Kauf, um Wien als
diplomatische Drehscheibe aufrechtzuerhalten. Das hat auch ökonomische
Effekte.“ Österreich selbst sei ohnedies „nur selten im Blickfeld ausländischer
Dienste“, so der ehemalige Leiter der BVT, Gert Rene Polli: Ganz anders sei das
nicht nur bei den internationalen Organisationen, „vor allem dem
internationalen Kommunikationsverkehr, insbesondere aber bei österreichischen
Firmen mit interessanten Exportmärkten“. Seit den vergangenen Jahren gelte
„zentrales Interesse“ dem österreichischen Bankensektor und seinen Aktivitäten
im Ausland, aber auch in Österreich.
Ein wichtiges
begünstigendes Element ist die Rechtslage. Eine Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs vom 20. April 1956 verbrieft, dass Spionagetätigkeit nur dann
geahndet wird, wenn diese sich unmittelbar gegen Österreich richtet. Wer laut §
256 einen „Geheimen Nachrichtendienst zum Nachteil der Republik Österreich“
betreibt, muss höchstens mit drei Jahren Haft rechnen. Wer einen „militärischen
Nachrichtendienst“ für einen fremden Staat betreibt (§ 319), kommt mit zwei
Jahren davon. Die Einhaltung dieser ohnehin laxen Bestimmungen wird nicht
einmal besonders effektiv überwacht. Abgesehen vom Heeresnachrichtenamt (HNaA)
und dem Abwehramt (AbwA), die für militärische Aufklärung bzw. Eigenschutz
zuständig sind, verfügt Österreich traditionell über keine weitere rein
nachrichtendienstliche Struktur. Wenn es um Spionageabwehr oder den Schutz vor
staatsgefährdenden Bedrohungen wie Terrorismus geht, so lag die Zuständigkeit
jahrzehntelang bei der Staatspolizei, einem „Zwitterwesen“ aus
Nachrichtendienst und Polizei. Am 8. August 1945 vom Staatssekretär für
Inneres, Franz Honner (KPÖ), neu gegründet, hing der Staatspolizei lange der
Ruf nach, kommunistisch unterwandert zu sein.
In den 1980er
Jahren waren 600 von damals insgesamt 700 Staatspolizisten auf die Abteilungen
I der Sicherheitsdirektionen der Bundesländer aufgeteilt und 100 bei der
„Gruppe C“ im Innenministerium angesiedelt. 1987 gründete Innenminister Karl
Blecha zusätzlich eine ihm direkt unterstellte Einsatzgruppe zur Bekämpfung des
Terrorismus (EBT). Die EBT hatte die Aufgabe, Präventions- und
Aufklärungsarbeit zu leisten und gleichzeitig als Bindeglied zu
Nachrichtendiensten im Ausland zu fungieren.
2002 gingen dann
die EBT, die Staatspolizei und die EDOK im BVT auf. Vor dessen Gründung hatte
die Staatspolizei neben der „Wahrnehmung staatsfeindlicher Vorgänge“ noch
zahlreiche weitere Aufgaben erfüllt: Schutz verfassungsgesetzlicher
Einrichtungen, Personenschutz für den Bundespräsidenten und Mitglieder der
Bundesregierung, Schutz von ausländischen Konsulaten und Staatsbesuchen sowie
Überprüfung von Flüchtlingen und Asylwerbern. In Wien standen dafür Mitte der
1980er Jahre nur „etwa“ 120 Mann zur Verfügung, in den Bundesländern rund 20.
So überrascht es auch nicht, dass ein Beamter damals zum „Kurier“ sagte, dass
man ausländische Spione außen vorlasse: „Solange sie mit ihrer Tätigkeit
Österreich aus dem Spiel lassen, ist uns das wurscht.“ An dieser Einstellung
hat sich nicht wesentlich viel geändert: Wie Polli kritisch angemerkt hat, ist
an eine „effiziente Spionageabwehr“ nicht zu denken, auch weil diese politisch
nicht gewollt sei. Österreich, so Polli, sei nach wie vor nur „bedingt
abwehrbereit“: „Die Disproportionalität zwischen den einheimischen
Abwehrbeamten und den hier agierenden Nachrichtenbeschaffern und Operateuren
besteht unvermindert weiter.“
Trotz der
Zusammenlegung ist auch das BVT eine spezialisierte Abteilung mit den
Befugnissen der normalen Polizei geblieben – „Spione und Agenten gibt es dort
nicht“, so der Journalist Andreas Wetz. Darüber hinaus kommt es zwischen BVT,
HNaA und AbwA aufgrund von Überschneidungen in den Zuständigkeitsbereichen, die
von Terrorbekämpfung, Cyber Security, Personenschutz bis hin zur Bekämpfung der
organisierten Kriminalität reichen, zu Spannungen: „Dies führt regelmäßig zu
Animositäten zwischen den Akteuren und hemmt den Informationsaustausch dort, wo
er im Sinne der nationalen Sicherheit notwendig wäre.“
Einen weiteren
Grund für das fehlende Aufklärungsinteresse ortet Polli in dem Umstand, dass
gewisse Kooperationen mit ausländischen Nachrichtendiensten „selbst forciert“
wurden. So diskutiert man seit 2013 im Zuge der Enthüllungen durch den
„Whistleblower“ Edward Snowden auch die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen
der National Security Agency (NSA) und dem HNaA im Bereich der signal
intelligence, also abgehörter Kommunikation. Seit mehr als 50 Jahren tauschen
die Dienste sensibles Material aus, berichtete „profil“ 2013: Dass damit
flagrant gegen die Bundesverfassung, konkret gegen das Neutralitätsgesetz,
verstoßen wurde, kümmerte nie einen der Beteiligten.“ Über seine
Lauschstationen klärte das HNaA den Telefon- und Funkverkehr im Ostblock und am
Balkan auf – „die Bänder gingen via Frankfurt direkt an die USA“. Heute ist
Österreich nach wie vor „ständiger und diskreter Partner“ der NSA, wie der
US-Journalist Glenn Greenwald herausstrich: „Man sammelt vielleicht gemeinsam
Daten aus Afghanistan oder nimmt bestimmte Organisationen ins Visier.“
All die erwähnten
Faktoren zusammengenommen – neutraler Status, günstige geografische Lage,
dichte Präsenz internationaler Organisationen, diskreter Bankenplatz und
schwach ausgebildete nachrichtendienstliche Strukturen machen Österreich nicht
nur für Spione interessant, sondern auch für Terroristen. Auch deren Präsenz
wurde gegebenenfalls toleriert – vorausgesetzt es gab keine Aktionen in
Österreich. Offiziell hat es eine solche „Ruheraum“-Strategie zur Terrorvermeidung
freilich nie gegeben, inoffiziell aber sehr wohl: Um nach einer Anschlagsserie
der Abu Nidal-Organisation (ANO) Anfang der 1980er Jahre weitere Gewalt zu
verhindern, ließ man zwischen 1988 und 1993 wechselnde Angehörige der ANO in
Wien wohnen und stellte medizinische Hilfsgüter bereit. Darüber hinaus konnten
sich Familienangehörige von Abu Nidal, einem der gefährlichsten
palästinensischen Terroristen, im Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH)
Operationen unterziehen.
Obgleich dieser
„Waffenstillstand“ brüchig war, kam es zu keinem weiteren Terroranschlag Abu
Nidals in Österreich. Dafür nutzte die ANO unter anderem
die Möglichkeiten, die der Finanzplatz Wien damals wie heute bietet. Ganz
allgemein zählen dazu: Strenges Bankgeheimnis (fällt ab dem vierten Quartal 2016 für ausländische Staatsbürger weg), Privatstiftungsrecht sowie
verschwiegene Steuerberater und Rechtsanwälte. „Neben der Schweiz und
Liechtenstein genießt Österreich für seine finanzielle Diskretion nämlich
Weltruhm. Nirgendwo anders lässt sich Vermögen einfacher investieren, tarnen und
dann wieder außer Landes schaffen als in Wien oder Salzburg. Und es bleibt
hierzulande genug hängen, um die Maschinerie aus Banken, Rechtsanwälten,
Beratern, Steuerexperten und Polit-Günstlingen am Leben zu erhalten“,
unterstreicht Florian Horcicka in seinem Buch „Das schmutzige Geld der
Diktatoren“ (2015).
Diese Qualitäten
haben sich auch der Terrorismus und die organisierte Kriminalität „mehrfach
zunutze“ gemacht. So etwa im Fall der ANO: Seit 2000 sind auf einem Konto der
Bank Austria 8 Millionen Euro eingefroren, die innerhalb von drei Jahrzehnten
mit Zinsen auf mehr als 20 Millionen Euro angewachsen sind. Das Konto mit der
Nr. 132195566 war am 4. August 1982 bei der damaligen Länderbank eröffnet
worden – und zwar von der jordanischen Staatsbürgerin Halimeh Almughrabi.
Zwischen 1982 und 1987 wurde die Millionensumme in vier Tranchen einbezahlt.
Nach Ansicht der Ermittler fungierte Almughrabi dabei nur als „Strohfrau“ für
ihren Ehemann Samir Najmeddin, dem 1984 eine Kontrollvollmacht für das Konto eingeräumt
wurde. Der 1939 geborene Najmeddin, Kampfname „Abu Nabil“, war niemand
Geringerer als der Finanzfachmann der ANO und für alle Auslandsinvestitionen
zuständig.
Herz dieses
Geschäftsimperiums war die Firma SAS Trade & Investment, deren Zentrale in
Warschau von Najmeddin geleitet wurde. Weitere Zweigstellen befanden sich in
Ost-Berlin, Kuwait, Griechenland und Zypern. Vor allem das kommunistische Polen
und die DDR duldeten die Präsenz der ANO stillschweigend – und kamen im
Gegenzug an Devisen bzw. an Informationen über die internationale Terrorszene
heran. Auch von österreichischem Boden aus wurden Geschäfte mit den Terroristen
abgewickelt: Anfang der 1980er Jahre hatte der syrische Waffenhändler Monzer
Al-Kassar in der Wiener Zelinkagasse die Import-Export-Firma Alkastronic
angesiedelt. 1985 kam es zu einer Hausdurchsuchung wegen Verdachts auf
Terrorverbindungen. Beweise für eine strafbare Handlung wurden aber nicht
gefunden. Was die damaligen Ermittler nicht wussten, die Alkastronic hatte
nachweislich Geschäftskontakte mit der ANO: Und zwar wurden am 9. März 1984
Najmeddins SAS 553 Pistolen sowie eine „größere Anzahl Munition“ für 228.560
Dollar in Rechnung gestellt. Eine zweite Abrechnung vom 3. April 1984 lautete
auf 20.000 Stück 7,65 mm-Munition und 20 Pistolen mit Gold- und Silbergravur.
In diesem Fall belief sich der fällige Betrag auf 9.980 Dollar.
Gewinne aus solchen
Waffengeschäften wurden bevorzugt bei der als „Weltbank des Verbrechens“
bekannt gewordenen Bank of Credit and Commerce International (BCCI) in London
angelegt – wegen deren besonderer Fähigkeit Gelder zu „verstecken“. Darüber
hinaus richtete man Konten in der Schweiz, Spanien und in Österreich ein. Laut
dem britischen Autor Patrick Seale wurde dabei ein beträchtlicher Anteil des
Geldes auf die Namen von Abu Nidals engsten Familienangehörigen deponiert. Wie
aus staatspolizeilichen Ermittlungsakten hervorgeht, gab es bei
österreichischen Banken gleich mehrere solcher Konten. Najmeddin selbst hatte
1986 bei der Zentralsparkasse das Konto Nr. 570309930 eröffnet. Als weitere
Zeichnungsberechtigte schien dafür eine junge syrische Studentin auf, die zu
diesem Zeitpunkt in Wien-Floridsdorf wohnte. Es handelte sich um Khalil Badia,
die 1967 geborene Tochter Abu Nidals. So undenkbar es scheint, die
Palästinenserin studierte jahrelang in Österreich – in jenem Land das von der
Organisation ihres Vaters zuvor mehrfach angegriffen worden war. Badia blieb
bis Anfang der 1990er Jahre und stand während dieser Zeit unter intensiver
Beobachtung seitens der Staatspolizei.
1991 versuchte
Najmeddin über das größte Guthaben, nämlich bei der Länderbank/Bank Austria,
erstmals wieder zu verfügen. Doch das besagte Konto war im Zuge des Golfkrieges
wegen Verdachts auf Irak-Verbindungen eingefroren worden. Am 13. Jänner 2000
betrat schließlich die seinerzeitige Kontoeröffnerin Almughrabi die Filiale in
der Wiener Nordbergstraße 13, um auf das Guthaben zuzugreifen. Sie wurde vor
Ort von WEGA-Beamten festgenommen. Weil sich die damals 65jährige Frau in
zahlreiche Widersprüche verwickelte, klagte man sie wegen Beteiligung an einer
kriminellen Organisation an. Später auf Kaution freigelassen, erschien
Almughrabi nicht mehr zur Verhandlung. Es hieß, die libyschen Behörden würden
ihr die Ausreise verweigern. Am 1. Juli 2008 gab es schließlich einen
Knalleffekt in der Causa: Der Antrag der Staatsanwaltschaft, das Guthaben für
verfallen zu erklären, wurde abgelehnt. Weil die ANO in der Zwischenzeit nicht
mehr existierte, sah das Gericht keine Gefahr, dass das Geld terroristischen
Zwecken zufließen könnte.
Das Urteil wurde in
zweiter Instanz vom Oberlandesgericht Wien aufgehoben und zur neuerlichen
Verhandlung an das Erstgericht zurückverwiesen. Obwohl mittlerweile nicht
einmal mehr Klarheit darüber herrscht, ob Almughrabi noch am Leben ist, geht
der Rechtsstreit weiter – der Prozess wurde im April 2011 vertagt, sämtliche
Privatbeteiligte ausgeschlossen. Ganz abgesehen vom Ausgang wirft dieses
Beispiel ein Schlaglicht auf die österreichische Vorgangsweise im Kampf gegen
den Terrorismus und den Hang zur Pragmatik: Stets vermied man das Risiko
möglicher Vergeltung, ließ gewähren und war gleichzeitig bedacht, sich aus der
Schusslinie zu halten.
Während sich die
ANO-Mitglieder mit Wissen der Behörden in Wien aufhielten und hier Gelder
investierten, wurde die Anwesenheit anderer Terroristen spät oder erst gar
nicht erfasst. Mitglieder der RAF hielten sich in den 1980er Jahren und Anfang
der 1990er Jahre immer wieder in Wien auf. Österreich fungierte als
Transitland, um nach Anschlägen in der BRD nach Skandinavien, in
Ost-Blockstaaten oder in den Libanon weiterzureisen – je nachdem, wo sich die
Gruppe gerade besonders sicher fühlte. Nur einmal kam es zu einer größeren
Operation westdeutscher Terroristen in Österreich selbst – die Entführung des
Fabrikanten Walter Palmers durch die „Bewegung 2. Juni“ 1977, die später in der
RAF aufging. Die an dem Coup beteiligte Inge Viett schrieb in ihren Memoiren:
„Wien ist keine Stadt für revolutionäre Aktivitäten. Es ist eine Stadt für Agenten,
Ganoven, für Spießbürger und ihre Politiker, gerade richtig für die Entführung
eines Industriellen.“
Fortsetzung folgt